
Türkei als neues Drehkreuz für russisches Gas: Europas Hintertür bleibt weit offen
Während die EU-Kommission vollmundig den kompletten Ausstieg aus russischen Gasimporten bis Ende 2027 verkündet, bahnt sich am Bosporus eine bemerkenswerte Entwicklung an. Die Türkei positioniert sich geschickt als unverzichtbare Drehscheibe für Energielieferungen – und könnte damit Brüssels ambitionierte Pläne zur Makulatur werden lassen.
Das große Spiel am Bosporus
Die jüngsten Gespräche zwischen dem türkischen Staatskonzern BOTAŞ und Gazprom offenbaren eine Strategie, die an Raffinesse kaum zu überbieten ist. Energieminister Alparslan Bayraktar traf sich beim Petersburger Wirtschaftsforum mit der russischen Führungsriege – darunter Gazprom-Chef Alexej Miller und Vizepremier Alexander Nowak. Was dort besprochen wurde, dürfte in Brüssel für erhebliche Kopfschmerzen sorgen.
Die Türkei verfolgt offenbar das indische Modell: Als die EU-Sanktionen gegen russisches Öl griffen, entwickelte sich Indien zum lukrativen Umschlagplatz. Russisches Rohöl wurde dort mit anderen Quellen vermischt und fand – völlig legal – seinen Weg zurück nach Europa. Ein Geschäftsmodell, das Ankara nun für den Gasmarkt kopieren möchte.
Brüssels Wunschdenken trifft auf harte Realitäten
Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen präsentierte am 17. Juni ihren Legislativvorschlag zum endgültigen Ausstieg aus russischen Energieimporten. "Wir drehen den Öl- und Gashahn zu", verkündete von der Leyen martialisch. Doch während Brüssel große Reden schwingt, schaffen andere Fakten.
"Die türkische Seite beabsichtigt, diese Zusammenarbeit in naher Zukunft fortzusetzen", betonte Energieminister Bayraktar unmissverständlich.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über die Schwarzmeerpipelines Blue Stream und Turkstream fließen jährlich mehr als 21 Milliarden Kubikmeter russisches Gas in die Türkei. Die Verträge laufen zwar aus, doch beide Seiten arbeiten bereits an "für beide Unternehmen vorteilhaften" Verlängerungen.
Der Turkstream als Europas Achillesferse
Besonders pikant: Die Turkstream-Pipeline ist nur zu einem Drittel ausgelastet. Diese freien Kapazitäten nutzt die Türkei bereits jetzt, um verstärkt Gas nach Bulgarien und von dort weiter nach Europa zu leiten. Im ersten Quartal stiegen die Durchleitungsmengen auf ein rechnerisches Jahresvolumen von 20 Milliarden Kubikmetern – eine Kompensation für die weggefallenen Ukraine-Transitmengen.
Ungarn, das sich gemeinsam mit der Slowakei vehement gegen die EU-Ausstiegspläne stemmt, profitiert bereits. Außenminister Péter Szijjártó verkündete stolz eine Erhöhung der Transitmengen um 750.000 Kubikmeter täglich. Die Solidarität innerhalb der EU bröckelt zusehends.
Die LNG-Hintertür
Als wäre das Pipeline-Schlupfloch nicht genug, öffnet sich eine weitere Tür: Russland signalisierte Interesse an verstärkten LNG-Lieferungen in die Türkei. Die türkischen Terminals könnten russisches Flüssiggas aufnehmen, das dann – vermischt mit LNG aus Katar oder den USA – seinen Weg ins europäische Gasnetz findet. Ohne Herkunftszertifikat, versteht sich.
Vizepremier Nowak formulierte es diplomatisch: "Unsere Spotlieferungen oder Mengen, die möglicherweise auf dem Weltmarkt verfügbar sind, können daher auch vom türkischen Markt abgenommen werden." Die Botschaft ist klar: Russland findet seine Wege.
Die Gaswaschmaschine am Bosporus
Was sich hier abzeichnet, ist nichts anderes als eine gigantische "Gaswaschmaschine". Russische Gasmoleküle vermischen sich im türkischen Netz mit anderen Quellen und verlieren ihre problematische Herkunft. Ein bewährtes Geschäftsmodell – schließlich ist auch indischer Diesel mit russischem Ölanteil in Europa völlig legal.
Die Infrastruktur steht bereit: Die Gasübergabestationen an der bulgarisch-türkischen Grenze verfügen über eine Kapazität von 26 Milliarden Kubikmetern jährlich. Mit einer Ertüchtigung der alten Transbalkan-Pipeline könnte die Türkei sogar die kompletten Ukraine-Transitmengen ersetzen.
Europas selbstgemachtes Dilemma
Die EU hat sich mit ihrer Sanktionspolitik in eine Sackgasse manövriert. Während man in Brüssel von Energieunabhängigkeit träumt, schaffen andere Akteure Fakten. Die Türkei nutzt ihre geostrategische Lage geschickt aus und wird zum unverzichtbaren Partner – für beide Seiten.
Besonders bitter: Die EU-Kommission sieht bereits Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen vor. Ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns, bevor die Regelungen überhaupt in Kraft treten. Ungarn und die Slowakei werden diese Schlupflöcher dankbar nutzen.
Die Realität ist ernüchternd: Solange keine wasserdichte Drittstaatenregelung existiert, wird russisches Gas weiter nach Europa fließen – nur eben über Umwege. Die Türkei verdient prächtig an diesem Geschäft, Russland behält seinen Marktzugang, und die EU-Bürger zahlen die Zeche in Form höherer Energiepreise.
In Zeiten wie diesen zeigt sich einmal mehr: Physische Werte wie Gold und Silber bieten Schutz vor den Verwerfungen einer verfehlten Energiepolitik. Während Politiker Luftschlösser bauen, bleiben Edelmetalle ein solider Anker in stürmischen Zeiten.