
Deutsche wollen Social-Media-Verbot für Minderjährige – doch wer schützt hier eigentlich wen?
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen befürwortet ein Verbot sozialer Medien für Jugendliche unter sechzehn Jahren. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der Bild am Sonntag. Satte 60 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, Minderjährigen den Zugang zu Plattformen wie Instagram, TikTok oder Snapchat zu verwehren. Lediglich 24 Prozent lehnen ein solches Verbot ab, während zehn Prozent das Thema für unwichtig halten und sechs Prozent keine Angabe machten.
Australien als Vorreiter – Deutschland als Nachahmer?
Hintergrund dieser Debatte ist ein bahnbrechendes Gesetz, das am 10. Dezember in Australien in Kraft getreten ist. Der fünfte Kontinent verbietet als erstes Land weltweit Jugendlichen unter sechzehn Jahren, eigene Konten auf großen Social-Media-Plattformen zu betreiben. Betroffen sind Giganten wie Facebook, YouTube, Reddit und Twitch. Die Betreiber werden verpflichtet, „angemessene Maßnahmen" zur Alterskontrolle zu ergreifen – bei Verstößen drohen drakonische Strafen von bis zu 27 Millionen Euro.
Doch während die Zahlen auf den ersten Blick nach einem gesellschaftlichen Konsens aussehen, brodelt unter der Oberfläche eine weitaus komplexere Debatte. Geht es hier wirklich um den Schutz unserer Kinder? Oder nutzt der Staat die berechtigte Sorge der Eltern, um ganz andere Ziele zu verfolgen?
Jugendschutz oder Kontrollwahn?
Die Kritiker melden sich bereits lautstark zu Wort. Zwanzig Jahre lang habe die Öffentlichkeit die Gefahren sozialer Medien für Minderjährige weitgehend ignoriert, so der Tenor vieler Skeptiker. Kaum sei jedoch die elektronische Identifikation (eID) eingeführt, entdecke man plötzlich den dringenden Handlungsbedarf beim Jugendschutz. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Tatsächlich wirft die Umsetzung eines solchen Verbots fundamentale Fragen auf. Wie soll die Alterskontrolle funktionieren, ohne dass jeder Nutzer seine Identität preisgeben muss? Die technischen Lösungen, die hier diskutiert werden, könnten weitreichende Konsequenzen für die Anonymität im Internet haben – und zwar für alle Nutzer, nicht nur für Minderjährige.
Die Verantwortung der Eltern
Eine berechtigte Frage stellen jene, die grundsätzlich nichts von staatlichen Verboten halten: Ist es nicht die ureigene Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und vor schädlichen Einflüssen zu schützen? Soll der Staat nun tatsächlich die komplette Erziehungsverantwortung übernehmen? Diese Entwicklung passt in ein besorgniserregendes Muster, bei dem der Staat immer tiefer in die Privatsphäre der Familien eindringt.
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass die Algorithmen der großen Tech-Konzerne gezielt auf Suchtmechanismen setzen. Die Neuromanipulation durch die Techgiganten ist keine Verschwörungstheorie, sondern dokumentierte Geschäftspraxis. Ehemalige Mitarbeiter von Facebook und Co. haben längst ausgepackt, wie bewusst die Plattformen darauf ausgelegt sind, ihre Nutzer – und besonders junge Menschen – in einen Strudel endlosen Scrollens zu ziehen.
Alternative Lösungsansätze
Interessanterweise gäbe es durchaus technische Alternativen, die weniger invasiv wären. Warum nicht Smartphones für Kinder mit einer vorinstallierten Social-Media-Sperre verkaufen? Eine solche Lösung würde das Ziel erreichen, ohne dass jeder Bürger seine Identität bei jeder Online-Aktivität nachweisen müsste. Doch solche pragmatischen Vorschläge finden in der politischen Debatte kaum Gehör.
Die Befürworter eines Verbots bis zum achtzehnten Lebensjahr argumentieren, dass man damit auch das Problem umgehen würde, Eltern für das Online-Verhalten ihrer Kinder zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem könnte ein Verbot während der kritischen Phase der Pubertät – also zwischen elf und dreizehn Jahren – dazu führen, dass das Interesse an sozialen Medien gar nicht erst in dem Maße entsteht, wie es heute der Fall ist.
Ein zweischneidiges Schwert
Doch Verbote haben bekanntlich ihre Tücken. Was verboten ist, wird oft nur noch interessanter. Und wer glaubt, dass technikaffine Jugendliche nicht innerhalb von Minuten Wege finden würden, jede Alterskontrolle zu umgehen, der unterschätzt die digitale Kompetenz der jungen Generation gewaltig.
Die Debatte offenbart einmal mehr die Hilflosigkeit der Politik im Umgang mit den Herausforderungen der digitalen Welt. Statt auf Bildung, Medienkompetenz und die Stärkung der elterlichen Verantwortung zu setzen, greift man reflexartig zum Instrument des Verbots. Ob das am Ende den Kindern hilft oder nur dem Staat neue Kontrollmöglichkeiten eröffnet, bleibt abzuwarten. Die Geschichte lehrt uns jedenfalls, bei staatlichen Maßnahmen, die angeblich nur unserem Schutz dienen, besonders genau hinzuschauen.
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