
Straßennamen als politische Waffe: Wie Eliten die deutsche Erinnerungskultur kapern
Was auf den ersten Blick wie ein harmloser Verwaltungsakt erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Symptom einer tiefgreifenden Verschiebung in der deutschen Politik. Die geplante Umbenennung der Dorotheenstraße vor dem Reichstag in "Yad-Vashem-Straße" offenbart, wie einflussreiche Netzwerke die Erinnerungskultur instrumentalisieren, um außenpolitische Positionen buchstäblich in Stein zu meißeln – und das ohne jede öffentliche Debatte.
Wenn Hinterzimmer-Politik Geschichte schreibt
Eine Kommission des Bundestags hat sich für die Umbenennung ausgesprochen. Soweit, so unspektakulär. Doch die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande kam, wirft erhebliche Fragen auf. Hinter der Initiative stehen politisch bestens vernetzte Prominente wie Kai Diekmann, der ehemalige Chefredakteur der Bild-Zeitung und Vorsitzende des Vereins Freundeskreis Yad Vashem. Dieser wandte sich direkt an Berlins Bürgermeister Kai Wegner und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner – beide CDU. Klöckner sorgte daraufhin für eine positive Empfehlung des Ältestenrates.
Keine öffentliche Diskussion. Keine Würdigung alternativer Standorte. Keine Einbindung der Berliner Bürger. So funktioniert offenbar Demokratie im Jahr 2025.
Die bewegte Geschichte der Dorotheenstraße
Die Straße selbst ist ein Spiegel deutscher Geschichte. Anfang des 19. Jahrhunderts nach der Ehefrau des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm benannt, widmete die DDR sie der Kommunistin Clara Zetkin. Auf Initiative Helmut Kohls erfolgte nach der Wiedervereinigung die Rückbenennung. Jede Namensgebung war Ausdruck des Selbstverständnisses der jeweiligen politischen Systeme.
Wer die Straßenschilder kontrolliert, schreibt an der Erinnerungskultur im öffentlichen Raum mit. Diese simple Wahrheit wird von den Befürwortern der aktuellen Umbenennung geflissentlich ignoriert – oder bewusst ausgenutzt.
Das Muster ist bekannt: Mohrenstraße als Blaupause
Wer glaubt, es handle sich um einen Einzelfall, irrt gewaltig. Die Kontroverse um die Berliner Mohrenstraße, die im August 2025 nach jahrzehntelangen Protesten in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt wurde, zeigt das gleiche Muster. 1134 Einsprüche wurden eingereicht, nur eine niedrige zweistellige Anzahl stammte von tatsächlichen Anwohnern. Die Berliner SPD argumentierte gemeinsam mit den Grünen, der Begriff "Mohr" würde den internationalen Ruf Berlins schädigen.
Eine bemerkenswerte Formulierung, die zeigt, wie gesellschaftliche Wertverschiebungen in administrative Sprache übersetzt werden – und wie wenig die Meinung der betroffenen Bürger dabei zählt.
Außenpolitik wird in Stein gemeißelt
Die Yad-Vashem-Initiative markiert eine neue Stufe dieser Entwicklung. Hier geht es nicht mehr um die Beseitigung vermeintlich belasteter Namen, sondern um das aktive Setzen außenpolitischer Signale. Die Straßenumbenennung fällt in eine Zeit intensiven Ringens um die deutsche Israel-Politik. Die hohe Kontroversität ist nicht nur an den anhaltenden Demonstrationen mit Bezug zum Nahen Osten abzulesen.
Auch das ständige Hin und Her beim Thema deutscher Waffenlieferungen zeugt davon, dass selbst innerhalb der Regierung wenig Einigkeit besteht, wie weit die Formel "Solidarität mit Israel" in der Praxis wirklich reicht. Bundeskanzler Friedrich Merz verbesserte das Klima der Debatte nicht gerade, als er in einem Interview davon sprach, dass Israel für den Westen die "Drecksarbeit" erledigen würde.
Erinnerungskultur verdient mehr als Hinterzimmer-Deals
Um es unmissverständlich zu sagen: Gegen die Benennung einer Straße nach dem wohl einflussreichsten Holocaust-Mahnmal ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Im Gegenteil – es könnte die deutsche Erinnerungskultur bereichern. Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Nie wieder Auschwitz! – das sollte die Richtschnur deutscher Politik sein.
Doch bei einem derart sensiblen Thema wäre eine öffentliche Debatte mit den Bürgern Berlins über den richtigen Ort nicht nur angebracht, sondern zwingend notwendig. Warum nicht einen Abschnitt der Ebert- oder Behrenstraße am Denkmal für die ermordeten Juden Europas? Oder andere Orte mit historischem Bezug zum Holocaust?
Eine intransparente Festlegung nach inoffiziellen persönlichen Parteikontakten schadet dem Anliegen einer breiten und demokratischen Erinnerungskultur.
Die Einbettung in ein Gesamtkonzept und die sinnstiftende Umsetzung als Gemeinschaft sind notwendig, um dem Anspruch dieser Initiative gerecht zu werden. Stattdessen erleben wir, wie eine kleine Elite über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet, welche Geschichte im öffentlichen Raum erzählt wird. Das ist keine Erinnerungskultur – das ist politische Instrumentalisierung.

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